Wir brauchen den Willen zur Veränderung

Typ: Namensartikel , Datum: 27.07.2020

In Tangerhütte gibt es seit März ein digitales Rathaus. Bürgermeister Andreas Brohm gibt einen praktischen Einblick in das "digitale Rathaus" seiner Stadt.

Was in vielen Kommunen noch nach Zukunftsmusik klingt, wird in der Einheitsgemeinde Stadt Tangerhütte bereits in der Praxis gelebt. Die Stadt bietet seit Anfang März zahlreiche, vor allem kommunale Verwaltungsleistungen digital an. Kitaplatz buchen, Hund anmelden, Brauchtumsfeuer beantragen – all das können die Stadtbewohner bequem von zuhause erledigen. Bürgermeister Andreas Brohm ist Treiber dieser Entwicklung und schildert im Gastbeitrag, welche Erfahrungen die Stadt mit dem digitalen Rathaus bisher gemacht hat:

aktuelles Zitat:

Andreas Brohm
"Die Kommunen haben bei der Digitalisierung eine Schlüsselrolle"

Andreas Brohm

Andreas Brohm ist seit 2014 Bürgermeister der Einheitsgemeinde Stadt Tangerhütte. Der diplomierte Kaufmann ist dort aufgewachsen und nach Stationen in Leipzig, Zürich, Köln, Stuttgart und Berlin in seine Heimat zurückgekehrt. Er sieht die Digitalisierung als Chance für den ländlichen Raum.

Vor drei Jahren begannen die ersten Vorbereitungen. Das Projekt „Das digitale Ratshaus“ (DigiRat) sollte die Verwaltung der Einheitsgemeinde Stadt Tangerhütte moderner und für die Anforderungen des digitalen Zeitalters rüsten und zugleich für die Bürgerinnen und Bürger und lokale Wirtschaft zugänglicher machen. Es begann mit einer Organisationsuntersuchung durch das kommunale Bildungsinstitut. Schnell war klar: Wir müssen den Worklow in der Verwaltung für die Digitalisierung anpassen – nicht umgekehrt. Aufgaben und Handlungsfelder von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sind mit den digitalen Anforderungen abzugleichen. Für diesen Change-Prozess haben wir eine eigene Stelle geschaffen, die im Herbst 2019 besetzt werden konnte.

Ein entscheidender Impuls kam aus der Region. Der Geschäftsführer der Innocon Sytems, eines IT-Diensleisters für Kliniken aus Tangermünde, kam auf mich zu und schlug vor, Verfahren aus dem Gesundheitswesen für die Verwaltung zu adaptieren. Intelligente Formulare in einem Bürgerkonto anzubieten, war für uns auf einmal ganz einfach. Wir stellten ein Team zusammen, das Lust an Veränderungsprozessen hat und jene Leistungen identifizieren sollte, die vor Ort auch nachgefragt werden. Wir mussten dabei viele Puzzle zusammenfügen und erst passend machen. Das Wissen und die Kompetenzen dazu fanden wir in der Region. Wir haben von Beginn an, die Prozesse auch immer vom Nutzer her gedacht. Haben uns in ihn hineinversetzt und stellten uns die Frage, warum sollte der Nutzer sein Verhalten ändern und unsere Leistungen online nachfragen? Wer ist unsere Zielgruppe? Wen bekommen wir dazu, etwas Neues auszuprobieren?

"Wir haben von Beginn an, die Prozesse auch immer vom Nutzer her gedacht."

Die kommunale Leistung „Kitaplatzvergabe“ schien alle Anforderungen zu erfüllen, und damit wollten wir das DigiRat im August 2020 starten. Dann kam Covid19 und alles lief anderes und viel schneller als gedacht: Bedingt durch den Lockdown und das Schließen unseres Rathauses für den persönlichen Kundenverkehr führten wir die neuen digitalen Prozesse quasi über Nacht ein. Dabei ging es vor allem um die Frage, wie wir weiter mit den Bürgerinnen und Bürger kommunizieren können. Im März startete das digitale Rathaus. Heute nutzen bereits mehr als 600 unserer 10.000 Einwohner das Bürgerkonto. 14 Leistungen können gebucht, online Termine vereinbart werden. Wir informieren unsere Nutzerinnen und Nutzer zudem per Mail über Ihre gewählten Wunschthemen aus der Verwaltung.

Nur ein ganzheitlicher Ansatz wird erfolgreich sein

Unser Anspruch ist, den Bürgerinnen und Bürgern ein Verwaltungs-Warenhaus mit einem personalisierten Zugang zur Verfügung zu stellen, quasi das „Amazon-Konto für die Daseinsvorsorge“. Denn ein regulärer Kunde interessiert sich nicht für Zuständigkeiten, ihm ist egal ob die gesuchte Leistung von der Kommune, vom Land oder vom Bund angeboten wird.
Unser Nutzerkonto für Bürgerinnen und Bürger, Vereine oder Firmen ist daher anschlussfähig zu weiteren Leistungen. Nachdem man sich mit 2-Wege-Authentifizierung registriert hat, können Leistungen in drei Handlungsfeldern genutzt werden OZG-Leistungen, Kommunale Dienste außerhalb des OZG und Anwendungen der Daseinsvorsorge. Bei den OZG-Leistungen ist unseren Anspruch, den Vorgang vollständig digital abzuschließen und das Formular fertig in das Postfach des Nutzers zurückzugeben. Dies setzt voraus, den Workflow in der Verwaltung verändern zu wollen.

Perspektivisch möchten wir das Bürgerkonto um weitere Leistungen erweitern. Eine Idee aus dem Prozess-Team war, dass unsere Mitarbeiter ihren Lohnzettel in ihr Nutzerkonto gelegt bekommen. Wir betrachten das Konto als Kundenkonto, das z.B. auch als Datenarchiv genutzt werden kann. Hinweise zu Veranstaltungen, aktuelle Ausschreibungen der Kommune, Busfahrplan einsehen, prüfen, wann der Müll abgeholt wird – alle diese Informationen können wir damit verknüpfen. Nur die Fülle der Leistungen sichert eine regelmäßige Nutzung und bindet den Nutzer an seine Kommune. Denn solche zusätzlichen Funktionen schaffen einen echten Mehrwert und sind entscheidend, ob das Konto am Ende auch angenommen wird. Unser Ziel ist, dass alle Anwendungen über einen Zugangscode im Nutzerkonto zu erreichen sind.

Die Kommunen tragen eine große Verantwortung

Nach knapp vier Monaten „digitales Rathaus“ in unserer Kommune kann ich sagen: Digitale Leistungen anbieten ist keine Kunst, die Kunst ist es, dass diese auch genutzt werden.
Digitalisierung ist ein ganzheitlicher Prozess, der unsere bisherige Arbeitsweise grundlegend verändert. Uns war deshalb klar, wir müssen nicht nur unsere Kunden, sondern auch unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an die Hand nehmen. Das können nur die Kommunen vor Ort sicherstellen, leisten können sie es jedoch noch nicht. Wollen wir die Digitalisierung erfolgreich gestalten, brauchen wir in allen Verwaltungsebenen, auch im Bund und den Ländern, die Lust und den Willen zur Veränderung und die Erkenntnis, dass den Kommunen in dem Prozess eine Schlüsselrolle zukommt.

Ist das Digitale Rathaus, so wie wir es definieren, Konsens? Wenn Ja, gilt es zu klären, wie Kommunen diese Aufgaben erfüllen können. Klare Strukturen, zusätzliches Personal sowie finanzielle Ressourcen sind dafür notwendig. Fördermittel werden die Herausforderung nicht lösen, sondern nur eine direkte finanzielle Zuweisung für das Thema Digitalisierung.

In Tangerhütte baut der IT-Dienstleister den Prototypen weiter mit einer OSI Schnittstelle zum Landeskonto und wir wollen in kürze das DigiRat über eine App mit Fingerabdruck-Scan benutzen. Denn nur, wenn wir die Angebote wirklich nutzerfreundlicher machen, werden sie auf lange Sicht erfolgreich sein.

Die Seite onlinezugangsgesetz.de veröffentlicht an dieser Stelle regelmäßig Gastbeiträge. Diese geben einen persönlichen Einblick in die Prozesse und Projekte rund um die OZG-Umsetzung. Es handelt sich um die Meinungen und Eindrücke der jeweiligen Akteurinnen und Akteure. Sie entsprechen nicht notwendigerweise der Meinung des BMI.