Wir müssen das Rad nicht immer wieder neu erfinden

Typ: Interview , Datum: 12.05.2020

In der Rubrik „Stimmen aus der Praxis“ gibt Christof Ansorge gibt einen Einblick in die Digitalisierung bei der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung.

aktuelles Zitat:

Christof Ansorge
„Wir haben ein viel größeres Synergie-Potenzial, das wir noch gar nicht heben.“

Christof Ansorge

Christof Ansorge arbeitet für die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) und ist dort in der Stabsstelle „Digitale Transformation, Qualitäts- und Informationssicherheitsmanagement der BLE“ zuständig für das Digitalisieren der gesamten Dienststelle.

Wie groß ist Ihre Dienststelle, deren Digitalisierung sie federführend koordinieren?

In der BLE sind insgesamt rund 1.500 Leute beschäftigt, die sich allerdings über ganz Deutschland verteilen, da wir neben dem Hauptsitz in Bonn noch Außenstellen in München, Weimar und Hamburg haben. Von da aus werden auch die drei Fischereischutzboote und drei Fischereiforschungsschiffe mit gut 200 Seeleuten bereedert und gesteuert.
Unsere Hausleitung möchte, dass wir schnellstmöglich in den kommenden zwei Jahren zu einer digitalen Behörde werden. Das ist natürlich ein hoch gestecktes, ambitioniertes Ziel.

Über wie viele Verwaltungsleistungen reden wir?

In unserer Leistungsfeststellungstabelle sind ungefähr 140 Leistungen enthalten, die noch weitestgehend zu identifizieren und mit einer notwendigen LeiKa-Nummer zu erfassen sind. In diesem Leistungsfeststellungsprozess stecken wir gerade mitten drin.

Sie haben aber auch Digitalisierungsprojekte, die weiter vorangeschritten sind…

Ja. Wir haben seit langem bereits Onlineverfahren laufen, bei denen zum Beispiel Wirtschaftsbeteiligte Kennzahlen zu Produktionen abgeben. So müssen zum Beispiel Molkereien uns nach der EU-Marktordnungsmeldeverordnung täglich oder wöchentlich mitteilen, was sie aus der Milch produziert haben. Wir haben auch Fachgesetze, die uns bereits zur elektronischen Erfassung zwingen. Im Gesetz zur Regelung der Seefischerei und zur Durchführung des Fischereirechts der Europäischen Union (Seefischereigesetz - SeeFischG) steht in § 14b, dass ein Kapitän das Recht hat, einen Antrag auf Auskunft elektronisch zu stellen. Das haben wir mit dem BMI zusammen in einem Ur-Pilotprojekt schon vor fast drei Jahren begonnen umzusetzen. Und das ist pünktlich im Juli 2018 online gegangen.

Als nächstes haben wir das Pilotprojekt „Fischetikettierung“ gestartet. Das war ja aller Ortens das vergangene Jahr zu sehen. Die Fischetikettierung hat jetzt verschiedene Richtungen eingeschlagen. Zum einen ist sie jetzt in der alpha.bund.de Fertigungsstraße als Testpilot enthalten, zum anderen ist sie aber auch schon produktiv auf unserem BLE-Portal online. Und sie wird intensiv genutzt, um die Weiterentwicklungen der bisherigen klassischen Formularserver – wir brauchen ja „Futter“ für die Entwicklung von Prototypen –voranzutreiben.

Seit Januar haben wir darüber hinaus ein Online-Antragsverfahren für Winzer, über welches diese Sonderpflanzrechte für Weinreben beantragen können. Dafür gibt es jedes Jahr ein zweimonatiges Antrags-Zeitfenster mit ungefähr 4.000 Anträgen.

In Sachen Tierschutz ist die Beihilfe zur Beschaffung eines Narkosegeräts für die Ferkelkastration bereits am 31. Januar 2020 live gegangen. Da gehen mittlerweile Hunderte von Online-Anträgen ein.
Des Weiteren steht das Tierwohl-Label an, aber die Gesetzgebung ist zurzeit noch nicht so weit.

Das heißt bei Ihnen ist immer mächtig Druck auf dem Kessel… Wo liegen denn die großen Herausforderungen in Sachen OZG im Moment?

Die sind eigentlich im Vorfeld bei der Gesetzgebung, bei der Festlegung der Förderrichtlinie, wenn leichtfertig so etwas wie „schriftlich bestätigen“ in die Gesetze und Richtlinien geschrieben wird – da muss man ansetzen. Den Rechtsreferendaren, die solche Entwürfe verfassen, muss das Bewusstsein geöffnet werden, so etwas nicht mehr zu formulieren. Wenn Gesetze digitalisierfähig verfasst worden sind, dann lässt sich die Digitalisierung des Verfahrens eigentlich ganz schnell umsetzen. Die wirkliche Herausforderung beginnt, wenn der Antrag abgegeben wurde: Wie wird er in der Behörde bearbeitet? Da wünsche ich mir ein Ämter-übergreifendes Vorgangsbearbeitungssystem, das die Behörden nutzen könnten, um eingehende Anträge – sprich: Vorgänge – einfach digital zu bearbeiten.
Manche sprechen hier dann von „Fachanwendung“ oder „E-Akte“; wieder andere nennen es „generelles Portal“, manche bezeichnen es als eine Utopie, und einige sagen „Druck’s Dir aus und mach’s in Papier!“. Das ist die Range. Nun liegt der Reiz daran, Gemeinsamkeiten zu finden, die konsolidiert umgesetzt werden können.

Sie haben jetzt noch eine ganze Menge an Leistungen vor sich, haben aber auch schon ein paar erfolgreich abgewickelt. Welche Lerneffekte haben sie denn daraus gezogen oder wie können die, die es jetzt noch vor sich haben, profitieren von den „Speerspitzen“, die Sie schon realisiert haben?

Ich bin immer ein Freund von Generalisierung. Wenn wir in einem konkreten Fall etwas aus Zeitdruck schnell umgesetzt haben, dann gucken wir hinterher, was wir daraus tatsächlich generalisieren können, um diese Zwischenschritte, die wir bis dahin erreicht haben, nicht noch einmal mühevoll gehen zu müssen.
Schließlich mündet das Generalisieren sogar darin, dass wir einen Verwaltungsprozess definieren, über den wir alle Online-Antragsverfahren gleichermaßen laufen lassen können. Also dieser „Master-Verwaltungsprozess“ gestattet uns eine Durchgängigkeit, sodass jede Verwaltungsleistung, die beantragt wird, durch diesen Prozess geleitet werden kann. Letztlich liegen die Unterschiede nur noch in den wenigen fachlichen Attributen, die mit so einem Antrag tatsächlich verbunden sind.

Es muss das Bewusstsein geschaffen werden, dass eigentlich alle Verwaltungsleistungen im Grunde gleich funktionieren. Aber ich sage es immer und überall: Die Verwaltungsleistung ist immer irgendwie gleich. Es kommt ein Antrag, es gibt eine syntaktische Prüfung auf Vollständigkeit, es folgt eine materielle Prüfung auf Sinnhaftigkeit – und ist es bescheidfähig oder nicht? Es werden die notwendigen Voraussetzungen abgeprüft, die man bei dem Antrag erfüllen muss. Ist mein Antrag berechtigt? Hat man alle notwendigen Unterlagen eingereicht? Wo kann man prüfen, ob die Unterlagen richtig sind? Im Anschluss folgt dann ein mehrstufiges Prüfungsverfahren. Schließlich gibt es dann entweder eine Erlaubniserteilung, eine Lizenz, Geld oder einfach nur einen Registereintrag.
Und ich wiederhole es noch einmal: Es ist alles gleich! Dieses Bewusstsein ist in vielen Verwaltungen leider noch nicht angekommen.

Also sind strukturierte Verfahren Voraussetzung für eine erfolgreiche Umsetzung? Wir hören ja auch immer Begriffe wie „Fertigungsstraße“. Die suggerieren auch eine Art „Malen nach Zahlen“.

Ja, man muss das Denken umswitchen. Klassisch hätte man es früher „Silodenken“ genannt – es gibt eine fachliche Anforderung, die wurde sachlich exakt umgesetzt und dann hatte man eine Fachanwendung – und das ein Leben lang, immer parallel nebeneinander. Diesen Gordischen Knoten gilt es zu lösen. Dann kommen solche Fragen wie: „Wie machen wir denn jetzt eine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung“? Das ist eine Herausforderung, aber es ist der einzige Weg. Denn wir haben so viel vor uns – und es kommt ja dynamisch immer noch etwas dazu – und eigentlich ist der Wunsch, nach einem fertigen Baukasten, der einem das Digitalisieren einer neuen fachlichen Anforderung in sekundenbruchteilen oder wenigstens Tagen ermöglicht, das Ziel.

Überall in Bund, Land oder Kommune stehen jetzt Menschen vor der Herausforderung, Leistungen digitalisieren zu müssen. Gibt es etwas, das Sie denen auf den Weg geben möchten?

Ich würde empfehlen zu schauen, was andere tun und Gleichgesinnte oder gleich Betroffene zu finden. Kommunen gibt es etwa 13.000 – mit nahezu gleichen Aufgaben. Und dann gibt es die kommunalen Dienstleister, die ein unterschiedlich breites Angebot bereitstellen, was es zugleich so schwer macht zu konsolidieren. Aber jeder wird seinen Dienstleister finden und hoffentlich nicht das Rad immer wieder von Neuem erfinden müssen.
Der Bund hat noch einen weiten Weg vor sich. Aber Dinge wie „Ressorthoheit“… „Machtverlust“… „Angst vor…“ bremsen uns aus.

Dadurch wird es länger dauern und es wird teurer. Aus meiner Sicht haben wir ein viel größeres Synergie-Potenzial, das wir noch gar nicht heben.

Die Seite onlinezugangsgesetz.de veröffentlicht an dieser Stelle regelmäßig Gastbeiträge. Diese geben einen persönlichen Einblick in die Prozesse und Projekte rund um die OZG-Umsetzung. Es handelt sich um die Meinungen und Eindrücke der jeweiligen Akteurinnen und Akteure. Sie entsprechen nicht notwendigerweise der Meinung des BMI.