Die Kraft der Digitalisierung offenbart sich in der Krise

Typ: Namensartikel , Datum: 13.04.2020

Klaus Vitt zieht Bilanz nach über vier Jahren als Staatssekretär im Bundesinnenministerium und IT-Beauftragter der Bundesregierung.

aktuelles Zitat:

Staatssekretär Klaus Vitt
"Eine funktionierende und sichere digitale Verwaltung ist heute essentiell für einen modernen Staat wie die Bundesrepublik Deutschland."

Staatssekretär Klaus Vitt

Klaus Vitt ist seit 2015 Staatssekretär im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat und Beauftragter der Bundesregierung für Informationstechnik. In dieser Funktion hat er drei Mal den Vorsitz des IT-Planungsrats übernommen. Klaus Vitt geht am 1. Mai 2020 in den Ruhestand.

Als ich vor gut fünfzehn Jahren in den öffentlichen Dienst eintrat, arbeitete dieser noch weitgehend papiergebunden. Anträge wurden auf Formblättern aus Papier ausgefüllt, meist von Hand, danach vom Beamten entziffert, beschieden und dann – wichtigster Schritt der Autorisierung – per Hand gestempelt und abgezeichnet.

Das Stempel-Zeitalter der Verwaltung gehört zum Glück der Vergangenheit an. Heute haben sich die Prozesse grundlegend verändert: Terminvergaben finden online statt, Anträge werden elektronisch gestellt, bearbeitet und gespeichert, immer mehr Vorgänge werden weitgehend digital abgewickelt. Zum Beispiel die KFZ-Zulassung oder das Beantragen von Arbeitslosengeld.

Trotz dieser Erfolge sind wir in Deutschland bei der Digitalisierung nicht so weit, wie wir es sein könnten! Die Gründe sind die komplexe föderale Struktur und die heterogene IT-Landschaft. Die Krisenzeiten machen allerdings nun auch dem letzten Zweifler deutlich, dass die Digitalisierung ein entscheidender Schlüssel ist, der es uns ermöglicht, exponentiell gestiegene Anforderungen zu bewältigen. Das merken wir jetzt bei Covid-19, das habe ich aber auch schon bei der Flüchtlingskrise 2015 so festgestellt.

Digitalisierung des Asylverfahrens

Als ich im Oktober 2015 Staatssekretär im Bundesinnenministerium sowie Beauftragter der Bundesregierung für Informationstechnik wurde, stand Deutschland vor einer anderen Herausforderung.

Hunderttausende Flüchtlinge strömten in sehr kurzer Zeit in unser Land. Nicht nur ihre Versorgung, Ihre Registrierung und ihre Integration wurden zur Mammutaufgabe für Staat und Gesellschaft. Allein die Bearbeitung der Asylverfahren nach dem ursprünglichen System hätte die Verwaltung auf Jahre lahmgelegt.

Deshalb haben sich Bund und Länder im IT-Planungsrat bereits mit Beginn der Krise einstimmig auf ein neues Asylverfahren verständigt: vollständig digital und medienbruchfrei. Bisher hatten Bund, Länder und Kommunen Daten von Asylsuchenden an vielen Stellen mehrfach erhoben und gespeichert. Das führte zu ineffizienten Prozessen und mangelnder Datenqualität. Aber es führte auch zu Sicherheitsrisiken und Leistungsmissbrauch, etwa durch Doppelidentitäten.

Diese Risiken haben wir durch die Einführung eines Kerndatensystems und die Digitalisierung des Asylverfahrens ausgeräumt. Heute steht eine flächendeckende Infrastruktur zur frühzeitigen, eindeutigen Registrierung von Schutzsuchenden inklusive ihrer Fingerabdrücke bundesweit zur Verfügung. Meldebehörden werden automatisiert über eintreffende Asylsuchende informiert. Damit konnten wir die Asylverfahren beschleunigen und Missbrauch vorbeugen. Die Flüchtlingskrise hat deutlich gezeigt: digitale Prozesse ermöglichen, dass der Staat schnell und effektiv auf plötzliche, extreme Herausforderungen reagieren kann.

Mit dem Onlinezugangsgesetz gut aufgestellt für die aktuelle Lage

Seitdem ist die Digitalisierung der Verwaltung konsequent aber maßvoll vorangeschritten. 2017 wurde das Onlinezugangsgesetz (OZG) beschlossen. Das OZG ist ein wichtiger Meilenstein, denn zum ersten Mal einigten sich Bund und Länder auf ein konzertiertes Vorgehen und einen verbindlichen Fahrplan bei der Digitalisierung von Verwaltungsleistungen. Das gemeinsame Ziel: Alle Dienstleistungen der öffentlichen Verwaltung auch online zur Verfügung zu stellen.

Zur Umsetzung fanden in den vergangenen Jahren unter anderem 30 Digitalisierungslabore statt, bei denen sowohl Verwaltungsmitarbeiter, Nutzer als auch IT-Experten gemeinsam digitale Lösungen entwickelten. Mehr als 100 Umsetzungsprojekte wurden angestoßen. Nach dem Modell „Einmal für viele“ können Leistungen, die sich im Pilotbetrieb in einzelnen Ländern bewährt haben, schnell und einfach von anderen Ländern nachgenutzt werden.

"Die digitale Verwaltung hat mit dem Ausbruch der Covid19-Pandemie erheblich an Bedeutung gewonnen."

Die digitale Verwaltung hat mit dem Ausbruch der Covid19-Pandemie erheblich an Bedeutung gewonnen. Zwischenmenschliche Kontakte jeder Art müssen auf ein Minimum reduziert werden. Das bedeutet im Klartext: Tausende Mitarbeiter der Verwaltung arbeiten im Home-Office, Ämter bleiben geschlossen und der persönliche Kontakt mit der öffentlichen Verwaltung ist deutlich reduziert, um die Ausbreitung des Corona-Virus zu verlangsamen.

Zugleich ist es augenblicklich für viele Bürger und Unternehmen existentiell, dass Verwaltungsleistungen erbracht werden, insbesondere Zuschüsse und Soforthilfen beantragt und ausgezahlt werden können. Die beschleunigte Bereitstellung digitaler Angebote und damit die priorisierte Umsetzung des OZG sind dringender denn je.

Das OZG hat über die vergangenen drei Jahre eine neue Qualität der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern etabliert und Verantwortliche in Bund, Ländern und Kommunen direkt miteinander vernetzt. Von diesen direkten Kontakten zu den einzelnen Verwaltungen, profitieren wir bei der Bewältigung der aktuellen Krise.

Cyber-Sicherheit und digitale Souveränität im Blick behalten

Wenn tausende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Behörden und Unternehmen im Home-Office sind und am heimischen Arbeitsplatz sensible Informationen bearbeiten, ergeben sich neue Herausforderungen für die Cyber-Sicherheit.

Schnellere und stabile Netzanschlüsse, VPN-Lösungen sowie die Anschaffung geeigneter Hardware müssen teilweise kurzfristig umgesetzt werden. Dafür gilt es, Lösungen zu finden, die einerseits die Arbeitsfähigkeit einer Organisation erhalten, gleichzeitig jedoch Vertraulichkeit, Verfügbarkeit und Integrität von IT-Systemen gewährleisten. Hier zahlt sich aus, dass wir in den letzten Jahren das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) als Cyber-Sicherheitsbehörde des Bundes massiv gestärkt haben. Das BSI unterstützt durch seine Expertise jetzt Gesellschaft, Wirtschaft und Staat bei der Bewältigung dieser Herausforderungen.

Es geht dabei einerseits um den Schutz der Vertraulichkeit von Daten vor unberechtigten Zugriffen und Datenmissbrauch. Es geht aber ebenso darum, Infrastrukturen vor einem Angriff oder Zugriffen von außen zu schützen, zum Beispiel durch Kriminelle oder fremde Nachrichtendienste. Insbesondere der reibungslose Betrieb von Kritischen Infrastrukturen ist jetzt entscheidend.

Mit dem Beginn der Covid19-Pandemie ist die Gefahrenlage im Cyber-Raum noch einmal gestiegen. Kriminelle nutzen derzeit insbesondere die Angst im Zusammenhang mit der Corona-Lage aus, die zu Unachtsamkeit führen kann. So versenden sie beispielsweise E-Mails mit Köderdokumenten, die dem ersten Anschein nach amtliche Informationen über den Corona-Virus enthalten. Tatsächlich beinhalten sie Schadsoftware, die auf dem Rechner Passwörter ausspähen kann (Phishing).

Zur staatlichen Souveränität gehört heute auch die digitale Souveränität. Dazu ist es wichtig, eine leistungsstarke IT-Wirtschaft, die passgenaue und sichere Software entwickelt, im eigenen Einflussbereich zu erhalten. Eine risikoorientierte, aber auch innovationsfreundliche deutsche und gesamteuropäische Technikregulierung dieser IT-Wirtschaft bildet zudem die Grundlage für die Unabhängigkeit staatlicher Behörden von ausländischen Anbietern.

Hinter das bis heute Erreichte können wir nicht mehr zurück

"Die Schnelligkeit, mit der wir in den letzten Monaten Digitalisierung implementiert haben, müssen wir beibehalten."

Ich wünsche mir dieselbe Entschlossenheit und Ernsthaftigkeit, mit der jetzt alle Verwaltungsebenen gemeinsam an digitalen Lösungen arbeiten, auch für die Zeit nach der Bewältigung der Corona-Krise. Auch die Schnelligkeit, mit der wir in den letzten Monaten Digitalisierung implementiert haben, müssen wir beibehalten.

Hinter das bis heute Erreichte können wir nicht mehr zurück. Sofern kurzfristig erforderliche Veränderungen auf provisorischer Basis erfolgt sind oder einen Ausnahmetatbestand bildeten, so müssen diese Errungenschaften in der nächsten Zeit dauerhaft etabliert und harmonisiert werden.

Eine funktionierende und sichere digitale Verwaltung ist heute essentiell für einen modernen Staat wie die Bundesrepublik Deutschland. Indem wir jetzt ein solides, anschlussfähiges Fundament für eine digitale Verwaltung errichten, wird unser Land auch bei künftigen Herausforderungen sicher, stabil und handlungsfähig bleiben.