Der Mensch ist ein Gewohnheitstier

Typ: Namensartikel , Datum: 04.12.2020

Lena-Sophie Müller berichtet darüber, wie man die Nutzung digitaler Verwaltungsdienste typengerecht steigern kann.

Vom Gang ins Büro zum Home Office, vom Schulbesuch zum Home Schooling, vom Treffen mit Freundinnen und Freunden zum virtuellen Weinabend: Im Kampf gegen die Ausbreitung des Corona-Virus gab es in vielen Lebensbereichen große Veränderungen. Die Digitalisierung hat sich dabei zweifelsfrei für viele als große Stütze erwiesen und zumindest stückweit einen normalen Alltag ermöglicht. Doch trotz allem offenbarte die Pandemie: Der Mensch ist auch ein Gewohnheitstier. So nahm die Nutzung digitaler Dienste nicht in allen Lebensbereichen zu. Wie beim Home Office und Home Schooling wurde auch bezüglich der digitalen Verwaltung eine Nutzungssteigerung erwartet. Doch der diesjährige eGovernment MONITOR der Initiative D21 und der TU München zeigt: Die Menschen setzten bei Behördengängen eher auf Vermeidung als auf die digitale Abwicklung. Viele Amtstermine wurden abgesagt oder verschoben, anstatt sie digital zu erledigen. Doch wie lassen sich diese Gewohnheiten verändern? Durch die Pandemie und die dadurch gestiegene Nutzung digitaler Dienste allgemein sind die Befragten aktuell sogar offener, Online-Services in der Verwaltung auch in Zukunft zu nutzen. Worin liegen also die Gründe dafür, dass die Umstellung auf die digitale Verwaltung nicht so schnell funktioniert wie beispielsweise in der Arbeitswelt?

aktuelles Zitat:

Lena-Sophie Müller
"Die typischen Nutzenden gibt es nicht. Es lohnt daher der Blick auf verschiedene Nutzertypen"

Seit 2014 leitet Lena-Sophie Müller als Geschäftsführerin die gemeinnützige Initiative D21 e.V., Sie berät den Deutschen Bundestag als Sachverständige der Enquete Kommission „Künstliche Intelligenz“ (seit 2018), ist Mitglied im Digitalrat des Bundesverteidigungsministeriums (BMVg) sowie im Digitalrat der BDA (seit 2019) und seit 2020 Mitglied im Beirat Junge Digitale Wirtschaft.

Um diese Frage zu beantworten, gilt es, sich die verschiedenen Interessen, Gewohnheiten und Barrieren der Nutzenden näher anzusehen. Ähnlich wie bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie auch, reicht eine reine Betrachtung des Durchschnittswerts für Deutschland für eine bedarfsgerechte Gestaltung und Ergreifung notwendiger Maßnahmen nicht aus, denn: Die "typischen" Nutzenden gibt es nicht. Es lohnt daher der Blick auf verschiedene Nutzertypen, wie es der eGovernment MONITOR in diesem Jahr erstmals vorgenommen hat. Ziel der Analyse ist, unterschiedliche Bedarfslagen der Bürgerinnen und Bürger einzubeziehen und so spezifischere Handlungsempfehlungen für eine künftig stärkere Nutzung digitaler Verwaltungsangebote zu abzuleiten. Denn je nach Nutzertyp sind verschiedene Strategien erfolgsversprechender, um die Barrieren abzubauen.

Zur Identifikation dieser Nutzertypen werden verschiedene Aspekte, wie zum Beispiel persönliche Bedürfnisse der Befragten, ihre Nutzungsgewohnheiten oder ihre Affinität zum Internet herangezogen. Auch die konkreten Erfahrungen mit digitalen Verwaltungsleistungen oder die Einstellung zur zukünftigen Nutzung spielen bei der Charakterisierung eine Rolle. Dabei kristallisierten sich fünf Nutzertypen heraus, die sich in diesen Kriterien unterscheiden

1. "Skeptische VermeiderInnen"

Die "Skeptischen VermeiderInnen" (16 Prozent) sind zur Hälfte über 55 Jahre alt und verfügen durchschnittlich über eine geringe Bildung. Sie sind dem Internet aufgrund von Ängsten, z. B. beim Datenschutz, negativ eingestellt und haben somit eine niedrige Nutzungsrate digitaler Verwaltungsangebote.

Nutzungssteigerungsstrategie: Sie müssen zunächst grundsätzlich Vertrauen gegenüber Online-Diensten aufbauen und sich die digitalen Wege überhaupt erst erschließen. Dafür muss ihnen die Nutzung durch passende Angebote und spezifische Anreize aufgezeigt werden.

2. "Überforderte Wenig-NutzerInnen"

Für "Überforderte Wenig-NutzerInnen" (15 Prozent) ist die Nutzung des Internets an sich hingegen keine Hürde. Sie haben eine grundlegend offene Haltung und 46% von ihnen nutzten im vergangenen Jahr sogar digitale Verwaltungsangebote. Dieser Nutzertyp hat einen hohen Frauenanteil und repräsentiert einen jüngeren Teil der Befragten: 66 Prozent von ihnen sind zwischen 25 und 54 Jahre alt. Barrieren für die Überforderten Wenig-NutzerInnen liegen vor allem in der mangelnden Durchgängigkeit und Komplexität von Angeboten.

Nutzungssteigerungsstrategie: Die Barrieren für diesen Nutzertyp können abgebaut werden, indem die Verwaltung aktive Hilfestellung anbietet, z. B. in den Bürgerämtern. Online kann Hilfestellung auch in Form von guten Erklärtexten, digitalen Assistenten (z.B. Chatbots) oder über verständliche Online-Anleitungen und Leitfäden erfolgen.

E- Government Nutzertypen E- Government Nutzertypen (Vergrößerung öffnet sich im neuen Fenster) Quelle: Initiative D21 e. V.

3. "Kontaktaffine Neutrale"

Der dritte Nutzertyp, die "Kontaktaffinen Neutralen" (24 Prozent), macht ein Viertel der Befragten aus und repräsentiert die "Durchschnitts-NutzerInnen“. 56 Prozent von ihnen sind Männer, knapp die Hälfte ist über 55 Jahre alt. Sie stehen dem Internet und digitalen Angeboten prinzipiell offen gegenüber. Sie bevorzugen allerdings den persönlichen Kontakt und erledigen ihre Verwaltungsangebote wie gewohnt vor Ort beim Amt.

Nutzungssteigerungsstrategie: Um die Kontaktaffinen Neutralen von der Nutzung digitaler Verwaltungsangebote zu überzeugen, sollte der persönliche Kontakt auf dem Amt durch eine leichte Bedienung der digitalen Leistungen und einer erhöhten Durchgängigkeit ersetzt werden. Auch das Aufzeigen von Vorteilen, wie z.B. die Zeitersparnis, kann die Nutzung fördern.

4. "Künftige Viel-NutzerInnen"

Die "Künftigen Viel-NutzerInnen" (32 Prozent) sind das größte Segment und haben somit auch das größte Potential für eine Steigerung der Nutzungsrate. Sie bilden damit eine sehr interessante Zielgruppe, wenn es um die Nutzungssteigerung geht. Fast die Hälfte von ihnen ist zwischen 25 und 44 Jahre alt, ein Viertel verfügt über eine hohe Bildung. Die "Künftigen Viel-NutzerInnen" besitzen die höchste Nutzungsquote. Auch die Bereitschaft, künftige digitale Verwaltungsdienste in Anspruch zu nehmen, ist höher als bei den anderen Gruppen. Ihnen fehlen aber Informationen, wo welche Angebote zu finden sind.

Nutzungssteigerungsstrategie: Suchmaschinenoptimierung kann eingesetzt werden, um Angebote für diesen Nutzertyp leichter auffindbar und Informationen schneller zugänglich zu machen. Denn  die Suchstrategie der Bürgerinnen und Bürger nach Verwaltungsleistungen geht vor allem über die gängigen Suchmaschinen im Internet. Auch Werbung für die Angebote und positive Presseberichte können Aufmerksamkeit erzeugen. Sobald dieser Nutzertyp ein gutes Angebot der digitalen Verwaltung kennt, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie oder er dieses auch nutzt.

5. "Pragmatische Profis"

Die "Pragmatischen Profis" (12 Prozent) sind sehr digitalaffin und daran interessiert, ihr Wissen im Bereich Internet auszubauen. Bei diesem Nutzertyp handelt es sich vorwiegend um junge Männer mit hoher Bildung: 43 Prozent von ihnen sind zwischen 18 und 34 Jahre alt, 26 Prozent verfügen über eine hohe Bildung. Sie setzen bei der Nutzung von Online-Diensten ihren Fokus auf hohe Usability und die Vereinfachung von Prozessen und Abläufen, um dem Wunsch nach täglicher Nutzung gerecht zu werden.

Nutzungssteigerungsstrategie: Die hohe Nutzungsbereitschaft erfordert, die "Pragmatischen Profis" auch weiterhin für die Nutzung digitaler Verwaltungsangebote zu begeistern und ihnen positive Usability-Erfahrungen zu ermöglichen, die sie aus anderen Bereichen gewohnt sind. Hier lautet die Devise: Je einfacher und unkomplizierter, desto besser. Eine Vereinfachung der Prozesse und die Verkürzung von Abläufen bei digitalen Leistungen ist dabei wesentlich, um eine starke Nutzung beizubehalten.

Die Betrachtung der Nutzertypen zeigt: Die Barrieren für die Nutzung der digitalen Verwaltung liegen an verschiedenen Stellen. Sie typengerecht und Stück für Stück abzubauen ist erfolgsversprechender, als auf One-Size-Fits-All-Lösungen zu setzen. Insgesamt lässt sich festhalten, dass es viel Potential in der Bekanntmachung und Auffindbarkeit digitaler Verwaltungsangebote liegt. Darüber hinaus gilt es die Komplexität von Online-Diensten abzubauen, um auch Menschen mit geringen Digitalkompetenzen eine vereinfachte Nutzung zu ermöglichen. Es gibt also noch viel zu tun und dennoch: Die individuelle Betrachtung der Nutzergruppen zeigt, dass oft schon kleine Veränderungen eine große Wirkung auf die Nutzung und Offenheit haben können. 

Die Seite onlinezugangsgesetz.de veröffentlicht an dieser Stelle regelmäßig Gastbeiträge. Diese geben einen persönlichen Einblick in die Prozesse und Projekte rund um die OZG-Umsetzung. Es handelt sich um die Meinungen und Eindrücke der jeweiligen Akteurinnen und Akteure. Sie entsprechen nicht notwendigerweise der Meinung des BMI.

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