Digitale Ethik in der Verwaltung – Heute schon an morgen denken

Typ: Namensartikel , Datum: 28.06.2021

Im Gastbeitrag nimmt Landrätin Dorothea Störr-Ritter die Anforderungen einer digitalen Ethik bei der OZG-Umsetzung in den Blick.

aktuelles Zitat:

Dorothea Störr-Ritter
"Bei der OZG-Entwicklung muss jetzt über die Möglichkeiten ethischer Grenzen vollautomatischer Verwaltungsverfahren diskutiert und zentral entschieden werden."

Dorothea Störr-Ritter

Dorothea Störr-Ritter ist seit 2008 Landrätin des Landkreises Breisgau-Hochschwarzwald und seit 2011 Mitglied des Nationalen Normenkontrollrates (NKR).

Noch ist das Thema "digitale Ethik in Verwaltungen" nach meiner persönlichen Einschätzung weder in den Verwaltungen selbst noch in einem gesellschaftlichen und zentral gesteuerten politischen Diskurs deutlich wahrnehmbar angekommen.

Das ist umso bedauerlicher, da vollautomatische Verwaltungsverfahren und die Nutzbarmachung von Künstlicher Intelligenz (KI) als "Auslöser" dieses Themas gerade im Verwaltungsvollzug und damit auch für Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen große Chancen und Potentiale bieten.

Vollautomatisierung

Ausgangspunkt der Vollautomatisierung ist eine Prozessmodellierung. Genauso wie Verwaltungsabläufe "aufgemalt" werden können, lassen sich auch Entscheidungsregeln visualisieren. In Kombination können standardisiert dargestellte Prozess- und Regelmodelle von Maschinen interpretiert und im Grunde automatisch ausgeführt werden.

Die Vollautomatisierung bietet für die öffentliche Verwaltung die große Chance, die Mitarbeitenden von Routinearbeiten zu entlasten und somit mehr Zeit für Beratung und Arbeit an den Menschen zu schaffen. Zeitverlust durch unzählige Nachfragen und Arbeit an der Akte können in den Hintergrund treten. Automatisierung wird geradezu unerlässlich – will die Verwaltung die aufgrund der demographischen Entwicklung bereits eingetretenen Personallücken schließen können. Bearbeitungszeiten können nur verkürzt, Serviceleistungen nur verbessert und Personal nur effektiver eingesetzt werden, wenn auch die zugrundeliegenden Verwaltungsaufgaben automatisiert sind.

Zeitnah ist das nur zu erreichen, wenn die durch das Onlinezugangsgesetz (OZG) angestoßene Digitalisierung der Verwaltung in wesentlichen Bereichen der vollziehenden Verwaltung mit einer Automatisierung Hand in Hand geht. 

Selbst wenn die meisten OZG-Leistungen bis 2022 digitalisiert werden – Zweifel daran sind angebracht – wird in der Mehrzahl nur der sogenannte Reifegrad 3 (Nachweise als Scan) erreicht sein. Reifegrad 4 soll Scan-Nachweise dann durch Registerabfragen ersetzen. Erst seit Kurzem bilden das Registermodernisierungsgesetz und das Unternehmensbasisdatenregistergesetz erste Grundlagen für die Nutzbarmachung von Registerdaten. Nur wenn Einigkeit über die Umsetzung besteht, sind in der Folge Onlineverfahren und Fachverfahren in der Lage das Once-Only-Prinzip anwenden zu können. Von antragloser, individualisierter und automatisierter Leistungserbringung sind wir in der Verwaltung noch weit entfernt.

Was wir heute allerdings schon wissen: Ein wesentlicher Kernaspekt der Digitalisierung und erst recht der Automatisierung von Verwaltungsverfahren ist die Schaffung der entsprechenden Akzeptanz in Verwaltung und Gesellschaft. Interessenkonflikte und ethische Zielkonflikte sind absehbar und sollten nicht erst dann diskutiert und ausgeräumt werde, wenn automatisierte Verfahren online gehen! Mit dem OZG ist eine strategische Entscheidung gefallen, die Grundlage späterer Automatisierung ist. Die OZG-Umsetzung und die damit anstehenden Prozessmodellierungen müssen als Ausgangspunkt genutzt werden. Im Rahmen der Entwicklung auf Bundes- und Länderebene muss jetzt über die Möglichkeiten ethischer Grenzen vollautomatischer Verwaltungsverfahren diskutiert und zentral entschieden werden, heute und nicht morgen.

Einsatz von Künstlicher Intelligenz

Vollautomatische Verwaltungsverfahren werden in der Regel als Vorstufe Künstlicher Intelligenz (KI) in der öffentlichen Verwaltung bezeichnet. KI-gestützte Systeme sind heutzutage bereits in der Lage menschliche Fähigkeiten und Arbeitsweisen zu ersetzen. Spannend wird das Thema digitale Ethik, wenn ein System Arbeiten ausführt, von denen wir noch vor Kurzem dachten, dass diese nur die Mitarbeitenden der Verwaltung mit entsprechendem Wissen, geeigneten Ausbildungen und Fähigkeiten leisten können.

Mit Unterstützung von KI ist es ganz aktuell (endlich!) möglich, die Gesundheitsämter in Deutschland mittels eines Corona-Hotline-Assistenten (CovBot) zu entlasten. Er kann die Anliegen von Anrufern ohne Wartezeit bearbeiten und dabei die richtigen Informationen und Gesprächspartner identifizieren.

Ohne digitale Diagnostik und Telemedizin, ein anderes Beispiel, wird eine qualitätsvolle medizinische Grundversorgung der Bevölkerung nicht nur in den ländlichen Räumen in Zukunft nicht mehr möglich sein. Im Kinderschutzverfahren könnten Gefährdungs- und Risikoeinschätzung KI-unterstützt vermutlich sicherer als bisher gefällt werden. Wäre es zum Beispiel möglich und denkbar, dass Problemlösungen beim Brandschutz passgenauer und kostengünstiger von einer Maschine als von Menschen getroffen werden können? Aber wollen wir das überhaupt? Können wir das ethisch verantworten? Eingriffe in Privatsphäre und Grundrechte sind sozusagen "vorprogrammiert". Darüber muss rechtzeitig diskutiert werden in der Gesellschaft, mit Betroffenen und allen Beteiligten. Die Politik muss entscheiden und die Regeln sehen. Besser heute als morgen.

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