Gunnar Terhaag über die DIN SPEC 66336 "Qualitätsanforderungen für Onlineservices und -portale der öffentlichen Verwaltung"

Typ: Namensartikel , Datum: 12.02.2025

Gunnar Terhaag hat seine Expertise als Teilnehmer am Konsortium zur Erarbeitung der DIN SPEC 66336 "Qualitätsanforderungen für Onlineservices und -portale der öffentlichen Verwaltung" eingebracht. Im Gastbeitrag schildert er seine Sichtweise auf die DIN SPEC und das Projekt.

aktuelles Zitat:

Gunnar Terhaag, LL.M. (Nottingham)

Gunnar Terhaag, Referatsleiter in der Staatskanzlei Sachsen

Gunnar Terhaag studierte Rechtswissenschaften an der TU Dresden. Nach dem Referendariat (u. a. mit einer Station bei BCG) und zwei Jahren als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU Dresden absolvierte er ein Aufbaustudium in Nottingham und schloss dieses mit dem Master of Laws ab. Anschließend wurde er Sachgebietsleiter in der sächsischen Finanzverwaltung. 2008 wechselte er in die Haushaltsabteilung des Staatsministeriums der Finanzen. 2015 erfolgte die Versetzung in das Staatsministerium des Innern zur Abteilung für E-Government. Dort betreut er seit Beginn des Gesetzgebungsverfahrens 2017 u. a. die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes, mittlerweile (und nach erfolgter Umressortierung in der Staatskanzlei) als Referatsleiter 42 Onlinezugangsgesetz.

Portrait Gunnar Terhaag

Eine DIN-Norm für Onlineservices? Hilfe!

Zunächst: keine Panik! Viele werden sich natürlich fragen, ob es nicht schon genug Regelungen, Vorgaben usw. rund um die Digitalisierung gibt. Erinnert sei hier nur an die Vorgaben zur Barrierefreiheit, zur IT-Sicherheit oder zum Datenschutz. Und wir alle wissen, wie schwer es ist, bereits alle diese Vorgaben einzuhalten!

Aber: mit dem Servicestandard soll sichergestellt werden, dass wir nur Onlineservices (und Portale) unseren Verwaltungskunden anbieten, die gut nutzbar sind, einen möglichst breiten Nutzendenkreis ansprechen, aber auch aus Sicht der Verwaltung sich gut in das Angebot an elektronischen Verwaltungsleistungen einfügen.

Aber eine DIN-Norm? Sind das nicht eher technische Vorgaben? Ja, die meisten von uns kennen DIN sicher aus dem technischen Bereich. Sicherlich am bekanntesten – gerade auch im analogen Verwaltungskontext – ist die ehemalige DIN 476 „Papierformate“, die unter anderem das Format A4 erstmals festlegte. Und das immerhin schon 1922! Aktuell ist daraus die DIN EN ISO 216 geworden. Aber natürlich lassen sich nicht nur Schrauben, Stecker, Formate usw. standardisieren, sondern auch sonstige Anforderungen an Produkte oder sogar unsere Sprache, z. B. die „DIN 8581-1, Einfache Sprache – Anwendung für das Deutsche – Teil 1: Sprachspezifische Festlegungen“.

Außerdem gibt es noch eine Abweichung: Es wurde für den Servicestandard keine „klassische“ DIN-Norm gewählt, sondern eine sogenannte DIN SPEC.

Unterschiede DIN-SPEC zur klassischen DIN-Norm

Je nach Anforderung an eine Standardisierung gibt es verschiedene Abstufungen, die uns auch aus dem Verwaltungsalltag vertraut sind. Die unterste Ebene bilden Unternehmensstandards, vergleichbar mit behördeninternen Regelungen. Darüber rangieren Konsortialstandards, z. B. für einen Zusammenschluss von Unternehmen. Auf Verwaltungsseite entspricht dies Verwaltungsvorschriften, die Vorgaben für eine einheitliche Verwaltungspraxis auch in mehreren Behörden machen. Beide Standards werden von einem „geschlossenen Expertinnen- und Expertenkreis“ erarbeitet. Dies bildet auch einen der wichtigsten Unterschiede zur DIN-Norm und zur DIN SPEC. Hier wird ein offener Expertinnen- und Expertenkreis zur Konsensbildung herangezogen. Das Format DIN SPEC rangiert unterhalb der klassischen DIN-Norm. Es ist deutlich schneller in der Erarbeitung, da z. B. weniger Schritte in der Erstellung des Entwurfs vorgesehen sind. Im Gegenzug wird sie auch bereits nach drei Jahren systematisch überprüft, eine DIN-Norm erst nach fünf. Sie steht zudem kostenfrei für Nutzende zur Verfügung. Aus einer DIN SPEC kann später eine DIN-Norm entwickelt werden.

Und warum keine Rechtsverordnung?

Das Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) als Initiator hat sich bewusst für dieses Format entschieden. Es bietet einen etablierten, schnellen und anerkannten Prozess unter Leitung des DIN e. V., ermöglicht eine unkomplizierte Einbeziehung von allen interessierten Seiten und eine hohe Akzeptanz. Dies zeigt sich bereits am Zeitraum der Erarbeitung: Das Kick-off-Meeting fand am 6. und 7.Novermber 2024 statt, die Verabschiedung erfolgte am 30. Januar 2025! Die Einbindung in die gewohnten rechtlichen Strukturen erfolgt über die kommende Standardverordnung gemäß § 6 Abs. 1 OZG, die die DIN-SPEC zur Umsetzung von § 6 Abs. 1 Nr. 2 OZG in Bezug nehmen wird.

Kann dabei überhaupt etwas Sinnvolles entstehen?

Ja! Dies ergibt sich bereits daraus, dass die DIN SPEC 66336 auf dem bisherigem seit mehreren Jahren existierenden Servicestandard für die digitale Verwaltung aufsetzt und diesen weiterentwickelt und konkretisiert. Damit konnten die Erfahrungen aus der praktischen Umsetzung des Standards mit einfließen. Weiterhin wurde der gesamte Prozess durch DIN, BMI und den DigitalService hervorragend vorbereitet und begleitet. Zudem wurde durch das BMI ein sehr großer Kreis an in Betracht kommenden Stakeholdern angesprochen. Entsprechend breit ist das sogenannte Konsortium zur Erarbeitung der DIN SPEC aufgestellt: es sind Vertretende von Kommunen (z. B. Leipzig), Ländern (auch Sachsen), IT-Dienstleistern, Bundesministerien und weiteren relevanten Stellen (z. B. BfDI und FITKO) dabei, insgesamt fast 50 Personen!

Und was ist jetzt alles enthalten?

Die Normierung wurde am Lebenszyklus eines Onlinedienstes ausgerichtet: Analyse der Nutzendenbedarfe, Umsetzung, Betrieb und Weiterentwicklung. Da wir heutzutage häufig Verfahren mit agilen Methoden entwickeln, ist dies natürlich kein starrer linearer Prozess. Für diesen Prozess wurden Anforderungen definiert, die bei den einzelnen Schritten zu beachten sind. Insgesamt wurden 13 Anforderungen festgelegt. Diese beginnen bei den Anforderungen an die Nutzendenanalyse ("Wie kann ich sicherstellen, dass ich auch wirklich weiß, was meine Kunden benötigen?"), als Pendant dazu die Bedarfs- und Prozessanalyse, in derem Ergebnis ein Soll-Prozess steht. Hier sollen auch bereits Indikatoren festgelegt werden, die Verbesserungen zum Ist-Prozess nachvollziehbar machen.

Weitere Anforderungen betreffen die Festlegung von Rollen und Verantwortungen für den Dienst, zum Vorgehen und Zusammenarbeit und zu Synergien und Wiederverwendung. Hier ist das Ziel, bereits bestehende Lösungen und Komponenten (z. B. für Bezahlsysteme) systematisch und konsequent anstelle von Neu- und Eigenentwicklungen zum Einsatz zu bringen.

Die nächste Anforderung sollte zwar eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein: Nutzendenfreundlichkeit, Barrierefreiheit und Inklusion. Hier fallen Anforderungen zur Umsetzung der BITV, zu einfacher und leichter Sprache, einem bedarfsgerechtem Angebot in Fremdsprachen, aber auch in Richtung once-only runter.

Ebenfalls eine Selbstverständlichkeit sollte die Nutzung von (offenen) Standards sein. Die Datenschutzfreundlichkeit adressiert Fragen rund um Datensparsamkeit und Datenschutzkonzepte /-folgenabschätzungen. Wenig überraschend folgen Anforderungen zur Sicherheit und Vertrauenswürdigkeit der Onlinedienste, was sowohl die Einhaltung der einschlägigen BSI-Vorschriften aber auch zum Support adressiert.

Auch der Aspekt Open Source (ein wichtiger Baustein in der Frage der Digitalen Souveränität) wird mitbehandelt.

Abgerundet wird das Paket durch Anforderungen zu Betrieb, Support, Evaluation und Weiterentwicklung. Etwas aus dem Rahmen der sonstigen Anforderungen, aber trotzdem sehr praxisrelevant ist die letzte Anforderung: identifiziertem rechtlichem Änderungsbedarf für einen besseren Onlineservice ist aktiv nachzugehen.

Und wie geht es jetzt weiter?

Wie schon gesagt: Mit der Standardverordnung wird die DIN SPEC auch noch eine höhere rechtliche Verbindlichkeit bekommen. Sie kann auf jeden Fall genutzt werden, um Anforderungen an Onlineverfahren z. B. gegenüber Entwickelnden und Dienstleistenden festzulegen und abrechenbar zu machen. Die genannten Anforderungen helfen auch den sächsischen Kommunen, sinnvolle Angebote für ihre Kundinnen und Kunden bereitzustellen. Hier schließt sich auch der Bogen zur "Kommune der Zukunft": Viele der dort vorgesehenen Aspekte wie nutzerzentriere Angebote für Bürgerinnen, Bürger und Unternehmen, 24/7-Erreichbarkeit, aber auch Zuverlässigkeit und Nachhaltigkeit werden durch verschiedene Aspekte der DIN SPEC 66336 adressiert. Bringen Sie daher die DIN SPEC 66336 auch in Ihren Digitalisierungsprojekten zum Einsatz!